Annette zeigt die Übung herabschauender Hund

Yoga für starke Frauen

Ich bin eine dicke Yogalehrerin.  

Es macht immer wieder den Eindruck, dass unsere üppigen Körperformen im Widerspruch zu den Bewegungsherausforderungen im Yoga stehen. Zugegebenermaßen rutschen die Brüste in der Schulterbrücke schonmal in Richtung des Kinns oder die eigenen Körperpölsterchen vertragen sich nicht mit den Yogabolstern in der Vorwärtsbeuge. Yoga ist keine Frage unserer Schwungmasse oder der Kleidergröße, sondern der passenden Asanas!

Kurvig, füllig, dick, rund, plus size, mehrgewichtig….

Egal wie man es benennt: Einige Frauen empfinden sich bereits als dick, wenn sie Kleidergröße 42 tragen, andere dagegen haben mit der Konfektionsgröße 50 kein Problem. Und doch können sie etwas gemeinsam haben: Sie fühlen sich in einer Yogaklasse mit „dünnen“ Menschen nicht wohl und wagen deshalb auch gar nicht erst den Versuch einer Yogastunde.

Ist Yoga ist nur etwas für gesunde, athletische und akrobatische Yogis? Nein!

Yoga ist aus ganzheitlicher Sicht eine Einstellung zum Leben im Sinne einer körperlichen und geistigen Auseinandersetzung und Harmonisierung. Es ist das in Einklang bringen von Körper und Geist durch Asanas, Meditation und Atmung. Selbst wenn der Körper aus verschiedenen Gründen eingeschränkt ist, sei es nun durch Übergewicht oder aus anderen Gründen, kann durch Yoga ein hohes Maß an Zufriedenheit und Lebensqualität entstehen und Körper und Geist etwas Gutes tun. 

Oft haben Menschen mit Übergewicht bzw. körperlichen Einschränkungen eine Hemmschwelle aufgebaut, sie sind frustriert durch negative Erlebnisse, haben Schamgefühle, Ängste, Bedenken und fürchten, dass andere über sie reden oder lachen, wenn sie Yogaübungen aufgrund ihres Körperumfangs nicht oder nur eingeschränkt mitmachen können, wenn sie außer Atem kommen oder vielleicht schwitzen. Dies sind häufig Gründe, warum sich übergewichtige Menschen gar nicht erst oder nie wieder zu einem Yogakurs anmelden möchten, ganz egal wie gut es der Gesundheit und dem Abbau von Stress guttun mag.

Banane, Halbmond, Schmetterling, Libelle…

Ohne es zu wissen, habe ich die ersten Übungen in einer Reha im November 2016 kennengelernt. Nach einem BurnOut Ende 2015 und anschließenden Monaten der Depressionen, musste ich mich dieser Maßnahme unterziehen. Ich hatte das Glück, Einzelstunden bei einer Bewegungstherapeutin, die auch Yogalehrerin war, zu bekommen.

In den Monaten vor meinem Zusammenbruch hatte ich immer wieder Probleme mit meiner Atmung, zu flach, zu kurz, eine tiefe Atmung war kaum möglich. Immer wieder hatte ich das Gefühl, keine Luft mehr bekommen zu können, dadurch Schmerzen und Verspannungen in Brustkorb und Rücken. Ich war steif wie ein Brett.

Die Bewegungstherapeutin hat mir Übungen zur Öffnung des Brustkorbes bzw. der Rippen gezeigt, um mir eine bessere Atmung zu ermöglichen. So lernte ich die liegende Banane und den liegenden Halbmond kennen, das Krokodil und den liegenden Schmetterling, alles mit einfachen Hilfsmitteln wie Decken und Kissen. 

Als ich wieder zuhause war, habe ich mich im nächstgelegenen Yogastudio zum Yin Yoga angemeldet. Dort begann mein Yogaweg.

Natürlich kamen die Gedanken: Kann ich das überhaupt? Bin ich mit fast 50 nicht zu alt? Und dann noch mit meinem Übergewicht??? Was sollen die anderen denn denken? 

„Jeder Mensch kann Yoga üben, solang er atmen kann.“ 

T. Krishnamacharya

Yoga ist gut für ALLE, auch wenn oftmals etwas anderes vermitteln wird. Es darf nicht unser aller Anspruch sein, uns mit superbeweglichen Yogis und deren zum Teil akrobatischen Übungen zu identifizieren. Erst recht nicht, wenn man als Einsteiger mit Yoga starten möchte.

Warum ist Yoga auch für Übergewichtige gut geeignet?

  • Die Asanas können -je nach Beweglichkeit und Konstitution- gut und individuell angepasst, viele Varianten geschaffen werden. 
  • Yoga ist gelenkschonend
  • Vom Yin Yoga bis zum Power Yoga kann (theoretisch) alles praktiziert werden (je nach Beweglichkeit oder Kondition und unabhängig von Gewicht oder Konfektionsgröße)

Die meisten Menschen, die einmal mit Yoga begonnen haben, möchten in ihrem Leben nicht mehr darauf verzichten, denn schon nach wenigen Stunden der Praxis zeigen sich positive und ganzheitliche Effekte. Auch wenn wir Yoga nach unseren Wünschen und persönlicher Konstitution gestalten, erleben wir sehr schnell, dass der Körper stärker und flexibler wird, bemerken wir die beruhigende Wirkung auf den Geist.

Braucht es spezielle Kurse für übergewichtige Yogaübende? 

Eine Frage, die durchaus zu Diskussionen führt. Die einen sagen, es braucht keine speziellen Kurse, denn in jedem Kurs können die Asanas direkt auf die einzelnen Teilnehmenden abgestimmt werden. Andere wiederum sagen, dass gerade für Übergewichtige gesonderte Kurse angeboten werden müssen aufgrund der Abwandlungen und Varianten, besonderer Ansagen und Anleitungen und um dieser „Zielgruppe“ einen eigenen und geschützten Raum zu bieten.

Wie denkt ihr darüber?

Alle angehenden Yogis sollten sich vor Beginn der Praxis fragen, welche Ziele und welche Motivation sie verfolgen, um so den richtigen Einstieg und das richtige Kursangebot zu finden. 

Gewicht allein setzt nicht zwangsläufig eine Grenze in der Yogapraxis. So sind es vor allem die Gelenke, die bei hohem Körpergewicht einem erhöhten Druck ausgesetzt sind und deshalb schonend behandelt werden müssen. Auch eventuelle andere Vorerkrankungen sollten berücksichtigt werden, so dass du vor dem Start in die Yoga-Welt einmal mit deiner Ärztin oder deinem Arzt sprechen solltest. 

Einige Asanas müssen so abgewandelt werden, so dass mehr Raum für Bauch, Brust und Po, Schenkel und Oberarmen entsteht. 

Umkehrhaltungen (soweit überhaupt möglich) müssen gut überlegt sein, aus gesundheitlichen Gründen vielleicht auch ganz weggelassen werden. So sind Umkehrhaltungen z.B. bei starkem Bluthochdruck nicht zu empfehlen.

Nötige Modifikationen verschiedener Haltungen sind individuell verschieden – so wie sich auch füllige Menschen stark voneinander unterscheiden, genauso wie dünne Menschen. 

Höre auf deinen Körper!

Ich finde es wichtig, in den Yogastunden

  • Ein Körpergefühl zu entwickeln
  • Entspannen zu lernen
  • Die eigene Atmung kennenzulernen
  • Die eigene Wahrnehmung zu stärken (körperlich, mental, emotional)
  • Akzeptanz zu lernen (dich selbst spüren und annehmen, DU bin einzigartig)
  • die allgemeine Gesundheit und das Wohlbefinden zu steigern
  • Spannungen/Verspannungen zu lösen (loslassen lernen)
  • Die eigenen Grenzen kennenzulernen und zu beachten, nicht nur in der Yogapraxis, sondern auch im Alltag
  • Die Kraft der Meditation kennenzulernen und in den Alltag zu integrieren

In den letzten Jahren habe ich mich viel über das Thema „Yoga für Mehrgewichtige“ informiert, habe mir Webseiten angeschaut, viele Artikel und einige Bücher zum Thema gelesen. Gefunden habe ich viele gute Ansätze und wertvolle Tipps, aber auch Kurioses und durchaus Befremdliches. Mit einem Gurt die Brüste weg-binden, um in diesem Bereich mehr Platz zu schaffen??? Ohne Worte…

Tatsache ist, dass das Thema Yoga mit Übergewicht doch einiges mehr bietet als Ernährungstipps, ob beziehungsweise wie man mit Yoga abnehmen kann oder dass übergewichtige Menschen im Yoga aus marketingtechnischer Sicht eine Marktlücke darstellen.

Ich bin übergewichtig und habe Ausbildungen für Hatha Yoga, Yin Yoga, Restorative Yoga und bin Yogatherapeutin.  Was soll es sein? Sanftes Hatha Yoga oder entspannendes Yin Yoga? Mal auf der Matte, mal kreativ auf einem Stuhl oder an einer Wand? Lerne Varianten kennen jenseits der klassischen Schiene. Probiere dich aus und finde deinen Yogastil. Alles ist möglich.

„Beim wahren Yoga geht es nicht um die Form deines Körpers, sondern um die Form deines Lebens. Yoga ist nicht dazu da, ausgeführt zu werden; Yoga ist dazu da, gelebt zu werden. Yoga kümmert sich nicht darum, was Sie gewesen sind; Yoga kümmert sich um die Person, die Sie werden. Yoga ist für ein großes und tiefes Ziel bestimmt, und damit es wirklich Yoga genannt werden kann, muss seine Essenz verkörpert werden.” 

Aadil Palkhivala, Feuer der Liebe

Bringen wir mehr Fülle und Vielfalt in unsere Yogawelt.

Namasté und mind your life!

Ich freue mich über Weiterempfehlung:

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